Als ich angerufen habe, um zu sagen, dass ich nicht komme, habe ich sofort Verständnis von meiner Vorgesetzten bekommen:„Kein Problem, wenn du krank bist. Das verstehen wir natürlich. Kurier dich aus. Und es wär schön, wenn du morgen wieder da bist, weil du ja eh am Freitag frei hast…“ So ist das also mit dem Kranksein in England. Grundsätzlich gar kein Problem - solange man in die Arbeit kommt. Pflichtbewusst wie ich bin, habe ich mich daher am Donnerstag zur Abwechslung entschieden, nicht krank zu sein und bin in die Arbeit gefahren. Dort habe ich dann ein Formular mit Namen, Datum und Grund meines Fehlens ausfüllen müssen. Wer würde denn schon einem Arzt vertrauen, der irgendwelche unglaubwürdigen Krankenstandsbestätigungen ausstellt. Nein, hier ist alles viel strenger reglementiert und daher muss man sich, wenn man weniger als 6 Tage krank ist, selber eine Entschuldigung schreiben. Dies habe ich dann also getan und mit Indianerehrenwort geschworen, dass ich auch ganz ganz wirklich krank gewesen bin und dann war alles geritzt. Ja ja, so unmenschlich geht es hier zu.
Apropos Arzt: Als ich mir meine Nähte von den Muttermal-OPs, die ich noch in der Heimat schnell hinter mich gebracht habe, entfernen lassen habe, bin ich einfach in eine Walk-In-Klinik gegangen (also so was wie ein McDonald’s Drive-In, nur ohne Burger und McFlurry, aber mit Ärzten und Spritzen). Auch dort füllt man ein Formular aus, muss sich nicht großartig ausweisen, schon gar nichts bezahlen und 20 Minuten später ist auch schon alles wieder erledigt. Da sage noch einer, Österreich habe das beste Sozial- und Krankenversicherungssystem der Welt. Gratis heißt das Zauberwort! Werd mir jetzt, glaub ich, öfter mal was rausnehmen lassen. Blinddarm wäre ohnehin schon längst fällig…
…wo bin ich stehen geblieben? Ach ja, krank und Wohnung und so. Also, die Wohnung ist toll, das Wasser ist erst einmal ausgefallen und nach einem Monat gibt es jetzt auch Toaster und Wasserkocher. Es gibt keinen Fernseher, was aber in Ordnung ist. Was gibt es noch darüber zu berichten? Die Matratze. Hm. Die ist, wie soll man sagen….verdammt unbequem. Man spürt jede einzelne Metallfeder und was sonst noch da drinnen ist. Auf jeden Fall kommt man sich am Morgen vor, als hätte man auf einem überdimensionalen Grill gelegen. Lösung für dieses Problem ist jetzt mal vorübergehend (und das sind jetzt auch schon wieder 3 Wochen), dass ich meine absurd riesengroße Decke einfach gleichsam als Unterlage UND als Decke verwende. Das heißt, ich schlafe in einem halboffenen Schlafsack, wenn man so will. Funktioniert tadellos. Bei Gefahr kann ich natürlich nur in eine Richtung schnell flüchten, klar. Ich hoffe, mein Leben hängt nicht davon ab. Um das Problem zu beseitigen bin ich dann einfach zu Argos. „Geh zu Argos, da gibt es alles, was man an Möbeln und so weiter braucht.“ haben sie gesagt. Ich gehe also zu Argos und hab mir vorher im Internet schon alles angeschaut, damit es dann schneller geht. Ich geh rein und denk mir: „Hmm, irgendwas fehlt da….und ein bisschen schaut’s aus wie bei der Post….aber irgendwas geht mir ab…und es könnt auch ein McDonald’s sein…kruzifix, ich komm nicht drauf….aber warum sitzen die Leute herum und warten…irgendwie wie ein kleiner Handyramschladen. Ah, jetzt weiß ich was fehlt: Die Möbel!“ Das gute Argos ist nämlich quasi ein Lager und das Prozedere funktioniert so: man sucht einmal per Monitor raus, was man haben will; geht zum Schalter und holt sich einen Zettel; gibt den Zettel bei einem anderen Schalter ab und setzt sich hin; dann wartet man bis die eigene Nummer gerufen wird und schaut sich die Unterlagsdecke an; die ist zusammengerollt in einer Plastikverpackung, was es einem unmöglich macht zu erkennen, ob diese das Grillrost-Problem lösen würde, kauft eine Nachttischlampe um 3 Pfund und geht nach Hause.
Jetzt aber zu wichtigen Verbraucherhinweisen: Was ich bei der Auswahl der Wohnung gelernt habe, ist, dass man eine Wohnung immer mehrmals besichtigen sollte. Als ich am Abend hier war, herrschte Totenstille. Wenn ich jetzt am Freitag meinen freien Tag genießen will, werden all meine Tätigkeiten von ohrenbetäubendem Kindergeschrei begleitet. Gleich daneben ist eine Volksschule und scheinbar verbringen die Kids sowohl ihre Pause als auch den Turnunterricht als auch jede andere freie Minute im asphaltierten Pausenhof. Das ist zwar nett, wenn man sieht, wie sich Kinder in Spiderman-, Batman-, Rotkäppchen- und Prinzessinnenverkleidungen (keine Ahnung, ob das noch öfters vorkommen wird?!) gegenseitig quer über den Hof jagen, auf die Dauer wünscht man sich aber doch, dass England seinem Ruf gerecht wird und ein paar Regenschauer aufziehen. Nur für ein paar Stunden am Freitag Vormittag…
Meine Mitbewohnerin Caroline. Also, da habe ich wirklich Glück gehabt. Sie ist ausgesprochen nett, sehr pflegeleicht und redet wie ein Wasserfall. Wenn sie da ist, weil sie immer sehr beschäftigt ist mit Studieren, Arbeiten, im Chor singen, etc… Da sie Deutsch studiert, hilft sie mir auch gelegentlich, wenn ich eine meiner legendären Powerpointpräsentationen vorbereite.
Da sind wir ja gleich beim nächsten Thema: Schule. Die zwei Mädels, die ich in der Lower und Upper 6th form habe, sind beide in etwa so gesprächig wie ein Mönch mit Schweigegelübde. Ich stelle eine Frage und zumeist blicke ich dann in leere Gesichter, es wird nervös auf die Unterlippen gebissen und Sekunden erscheinen einem plötzlich wie Stunden.
http://www.youtube.com/watch?v=K8E_zMLCRNg
Man denkt sich, was ist denn los, spreche ich Chinesisch?! Mein Sprechtempo ist mittlerweile so langsam, dass ich, bis ich am Ende des Satzes angelangt bin, schon wieder vergessen habe, was ich eigentlich sagen wollte. Um die Situation ein bisschen zu entlasten, haben wir also zunächst einmal geklärt, dass man mir mitteilen muss: Frage nicht verstanden, weil zu schnell gesprochen. Frage nicht verstanden, weil die Wörter alle unbekannt sind. Frage verstanden, aber keine Ahnung, WAS man antworten soll. Oder: Frage verstanden, aber keine Ahnung, WIE man auf Deutsch antworten soll.
Aber schön langsam wird’s und auch die Burschen in den Unterstufen wissen mittlerweile etwas mehr, als dass Wien die Hauptstadt von Österreich ist. Strike! Unter die neuen Informationen fallen auch so elementare Dinge wie Schnitzel und Leberknödelsuppe. Der Anblick einer solchen löst bei den Engländern im ersten Moment Ekel aus. Wenn sie erfahren, was Leber übersetzt bedeutet, ändert sich das in der Regel eher nicht. Ich kann nur sagen, dass ich sowohl beim Herstellen als auch beim Vorführen jedes Mal einen derartigen Gusto auf Leberknödelsuppe und Schnitzel kriege….jetzt schon wieder!
Ansonsten bin ich, wie schon mal erwähnt, sehr erfolgreich bei meinen Versuchen den Burschen Deutsch beizubringen und mittlerweile sagen auch nur mehr ein Drittel bei der Begrüßung am Anfang „Guten Tag, Frau Swinger.“ Heikel wird es nur, wenn ich Spiele mache und die Belohnung sind Mozartkugeln. Länger wie die Spiele dauern, sind dann nämlich nur meine Erklärungen, was in den Mozartkugeln drinnen ist. Wegen Allergien und so. Und verklagen und so. „He killed my boy with Austrian chocolate!“
Wenn wir schon beim Verklagen sind (irgendwie kommt mir vor, ist mein Blog nicht mehr ganz so unbeschwert wie am Anfang des Aufenthalts…): Ich „helfe“ ja dem Dave, der Jugendbetreuer bei Manchester City ist, den 11-jährigen das Fußballspielen bei zu bringen. Mittlerweile passiert es aber immer öfter, dass ältere Mannschaften wichtiger sind und ich daher alleine auf die Jungs aufpassen muss. Dabei kann es schon des Öfteren zu sprachlichen Missverständnissen kommen, aber irgendein Bursche versteht meistens, was ich will und erklärt es dann den anderen. Beim ersten Training bleibt natürlich einer dann gleich mal verletzt am Boden liegen. Kein Grund zu Panik. Erstmal hin und schauen, was er so hat. Da fließt auch schon das Blut in Strömen aus einer Wunde neben dem Auge. OK, jetzt vielleicht doch ein bisschen Panik. Also schick ich den weinenden und blutenden Buben in Begleitung mit einem anderen zum Sekretariat in der leisen Hoffnung, dass vielleicht jemand da ist, der ihn verarzten kann. 10 Minuten später macht mich ein Junge darauf aufmerksam, dass der Vater des Buben auch schon gekommen ist. Na bumm, der wird mir jetzt die Leviten lesen. Ich sah mich schon wegen Verletzung der Aufsichtspflicht…. was heißt hier Aufsichtspflicht, ich dürfte ja wahrscheinlich gar nicht alleine mit den Burschen sein, waaaaaaah!!! Schon kommt der Vater zu mir und was sagt der Papa? „Darf mein Sohn morgen eh im Team spielen?“ Hui, schnell den Schweiß von der Stirn gewischt, ein nachdenkliches Gesicht aufgesetzt und dann mit ernster Miene: „Das entscheidet leider der Dave.“ Dann Trainingseinheit beendet und eine frische Unterhose angezogen. Beim nächsten Training war ich gleich wieder alleine, aber jetzt weiß ich ja, dass ich quasi unantastbar bin.
So und vor lauter Schulanekdoten hätte ich mich jetzt fast verplaudert und die Badewannengeschichte vergessen! Es begann alles am Abend des 5. November, wo die Engländer sich gern dran erinnern, dass vor Jahrhunderten mal fast ihr Parlament in die Luft gesprengt wurde. Und wie macht man so etwas pietätvoll? Ganz klar, mit Rummelplatz, Feuerwerk und Puppen, die auf Freudenfeuern verbrannt werden. Da ich aber eben zu der Zeit kränklich war, bin ich bald heim und denk mir, ein heißes Vollbad zur Entspannung ist jetzt genau das Richtige. Also entkleiden und Wasser einlassen. Da bemerkt der Michael, dass es gar keine Möglichkeit gibt, den Abfluss zu schließen. Und irgendwie klemmt auch dieser Drehmechanismus. Egal. Also erst mal nackt im Bad und in der ganzen Wohnung herumlaufen, weil irgendwo muss der Stöpsel ja sein. War er dann auch. Auf der Ablage neben der Badewanne. Wo sonst. Gut, jetzt aber. Wasser rein, hineinlegen und entspannen. Tut das gut. Nachdem ich relaxt und wieder aus der Wanne war, wollen wir doch den Stöpsel wieder rausnehmen. Ha, denkste. Wenn wir uns kurz erinnern: der Drehmechanismus, der das Ding in die Höhe schiebt, klemmt ja. Also, wie kriegen wir jetzt den Stöpsel wieder raus? Mit dem Fingernagel natürlich. Natürlich nicht. Mit einem Messer natürlich. Natürlich nicht. Gut, Strategiewechsel ist angesagt. Wie kriege ich 100 Liter Wasser aus einer Badewanne? Mit einem Kübel natürlich. Natürlich nicht. Ist nämlich weit und breit kein Kübel zu finden. Also einen mittelgroßen Kochtopf zur Hand und schöpfen und schöpfen und schöpfen… Dann bleibt natürlich immer noch ein Lackerl, das wird dann mit der Küchenrolle aufgetunkt und der Stöpsel dann MacGyver-mäßig mit einem Klebeband in die Höhe gehoben. Die Badewanne ist wieder leer, ich bin völlig verschwitzt, dazu noch genau das Gegenteil von entspannt und der Kochtopf riecht am nächsten Tag immer noch verdächtig nach Badewasser. Pssst, das bleibt aber unter uns, das muss die Caroline ja nicht erfahren, was ich in ihrer Abwesenheit so treibe…
Um diesen Eintrag jetzt doch noch mit einer netten Geschichte abzuschließen, die kein Blut, Killermozartkugeln, Foltermatratzen oder Badewannenabstrusitäten enthält, wenden wir uns noch schnell Weihnachten zu. Es ist ja bereits November, also hat man vor dem Rathaus mit Mordstrara die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet. Es waren irgendwelche englischen B- bis D-Promis anwesend und am Ende gab es ein Feuerwerk. Und das, obwohl niemand das Parlament in die Luft sprengen wollte. Da verstehe einer noch die Welt….